Die Pionier-Schule in Franingham
Entstehung und Leitbild der Sudbury Valley School (SVS)
1968 wurde die erste SVS in Framingham, Massachusetts, USA, von Eltern für ihre Kinder eröffnet. Subury Valley ist der Name eines dem Schulgelände nahegelegenen Tales. Einer der Mitbegründer und Mitarbeiter ist Daniel Greenberg, der viele Bücher über das SVS-Modell im Schulalltag und die theoretische Konzeption dazu geschrieben hat.
Ausgangspunkte aller Überlegungen für eine Schulgründung waren:
Die IDEE, dass ein Kind ein Individuum ist, und als Person vollen Respekt verdient.
Die FRAGE, worum es bei Bildung und Schule überhaupt gehen soll. Nach ihren Vorstellungen war es z.B. selbstverständlich, dass Schulen die Entwicklung der Kinder zu guten Staats-Bürger*nnen bewirken sollen.
Deshalb untersuchten sie vor der Schuleröffnung im Zeitraum von drei Jahren
– bestehende Privatschulen
– die amerikanische Verfassung
Komplexe Konsequenzen
Zwar waren das zwei einfache Grundüberlegungen, diese würden jedoch auf der Ebene der Praxis komplexe Konsequenzen mit sich bringen, will man sie ernsthaft ins Zentrum eines Bildungskonzeptes stellen. Zum Beispiel musste dies für das Leitbild der neuen Schule folgerichtig bedeuten:
- Den inneren Bedürfnissen des Kindes wird die höchste Priorität eingeräumt
- Alle Aktivitäten der Kinder dürfen nur auf ihre eigene Initiative geschehen
- Dafür braucht es den passenden Rahmen einer unterstützenden Umgebung
- Die Lehrpersonen haben keine Macht über die Kinder
- Der Plan des Kindes für sein eigenes Leben ist genauso wichtig, wie der Plan irgendeines anderen Individuums
- Respekt gebührt jedem einzelnen Menschen, ob Kind oder Erwachsenem
Deshalb gewährt die erste SVS in Framingham seit der Schulgründung ihren Schülern ein konsequent selbstbestimmtes Lernen auf demokratischer Basis.
Seit 1968 sind Schulen vom Sudbury-Typ an verschiedenen Orten auf der Welt entstanden: Kanada, Puerto Rico, Australien, Israel, Holland, Dänemark, Belgien, Deutschland, Nord-Amerika (ca. 30 SVS)
Sudbury Valley School. Blog. Monday, October 28, 2013. Where in the … Turkey, the Netherlands, Norway, Finland, Israel, the United Kingdom, Taiwan, Hong Kong, the Czech Republic, Puerto Rico and 36 of the 50 states in the U.S. Between January 2012 and August 2013, we received orders from Russia, Iceland, Switzerland, the Republic of Moldava …
„Es ist die weltweit radikalste Schule, aber die freundlichste“
Daniel Greenberg
Die SVS Framingham in Zahlen
- 200 Kinder (4-19 Jahre)
- 11 Lehrkräfte
- Öffnungszeit: 8.30h-17.30h (Tagesschulangebot)
- Mindest-Präsenz-Zeit: 5h
- Viele Quereinsteiger
- Die Sudbury Valley School ist staatlich anerkannt.
- Die SVS’ erhalten keine staatlichen Subventionen
Einige Grundsätze aus dem Schulalltag (Leitbild)
Jedes Kind ist Experte in eigener Sache und weiss am besten, was für es gut ist. Niemand kann wissen, was für einen andern Menschen besser wäre. Deshalb bedeutet dies für Mitarbeiter*innen in erster Linie:
• zuhören nicht werten
• die Kinder in Ruhe lassen, den Rest tun sie vollkommen alleine.
Jeder, jede Schüler*in lernt und arbeitet im eigenen, einzigartigen Rhythmus, in der eigenen Geschwindigkeit.
Gemeinsam ist allen Schüler*nnen, die Suche nach ihrer Identität, die unbeschädigt und individuell ist (SV-School Press).
SVS verbindet den absoluten Respekt vor dem Einzelnen mit einem tiefen Gefühl von Gemeinschaft.
Lernen, denken, aktiv sein Gehirn benutzen – das ist das Wesen des Mensch – Sein’s. Menschen gehen in die Schule, um zu lernen: effektiv, fröhlich, ernsthaft
Zum Lernen müssen sie in Ruhe gelassen werden und Zeit bekommen (Flow).
Ethik geht von der Grundlage aus, dass ein Mensch für seine Handlungen verantwortlich ist (Empowerment).
Wir halten es für selbstverständlich, dass Schulen die Entwicklung zu engagierten, selbstverantwortlichen Bürger*innen zum Ziel haben sollen.
Angetrieben von ihrer eigenen Neugier, unternehmen die SchülerInnen unaufgefordert enorme Anstrengungen, treuhänderisch ihre Ziele, ihre Interessen durch alle Niederlagen und immer im demokratischen Kontext, zu verfolgen und in die Tat umzusetzen.
Lehren und lernen sind 2 Seiten derselben Medaille.
Deshalb gibt es in diesem Schulmodell:
a) Keine: Fremdbewertung, Noten, Prüfungen, Abschlusszeugnisse
Schulglocke, Stundenplan, Einmischung in die Privatsphäre, Elterngespräche (nur auf Wunsch), Basare etc.
b) Kein/en: Stundenplan, Lehrplan, Zeitdruck, Fächerkanon, Unterricht (ausser auf Wunsch der SchülerInnen), Lehrerkonvent, Therapieangebot,
c) Regeln: gelten für alle gleichermassen, aber sonst kann jede und jeder den ganzen Tag tun, was er/sie tun möchte.
und als Folge davon:
d) kein/e: Gewalt, Burnouts, Legasthenie, Littering, Apathie, Chancenungleichheit, Ritalin & Co., Schulversager, Diebstahl, Gruppendruck, Mobbing etc.
e) hohe Selbstkontrolle, natürliches Sozialverhalten, messbare Erfolge, Gleichberechtigung, Leistungswille, hohe Motivation, Klima des Vertrauens, keinen Lehrermangel, Empowerment, freiwilliges Engagement für strukturelle Arbeiten in Komitees (putzen, Administration, Umgebungspflege etc.), viel Spass, Freude und Durchhaltewillen
80% der Abgänger*innen treten in ein weiterführendes College (werden sehr aktiv angeworben)
fast 100% sind in ihrem Wunschberuf tätig
(Punkt 2. bis 8. sind Auszüge aus: Die Sudbury Valley School)
In seinem Buch „Ein klarer Blick“ untersucht Daniel Greenberg sechs Gesellschaftsthemen
Beispiel „Spielen“
Er zeigt auf, welch wichtiger Leistungsfaktor das Spielen als Kulturtechnik schon immer in der fortschreitenden Menschheitsgeschichte innehatte. Jede technische Errungenschaft sei das Resultat von vorausgegangenem ausgiebigem Spiel im Sinne von Versuch und Irrtum.
Spielen fördert und bedeutet:
• Im Moment sein
• Improvisieren,
• Intuition
• Sich für die Zukunft rüsten/ Schlüssel der Zukunft
• Kreativität, Kreation, Entdeckung
• Regeln einhalten
• Forschung, Innovation, Zufall
• Musse
• Erhöhung der Toleranzschwelle durch Niederlagen
• Denken (Sokrates, Platon)
• Lernen und Konzentration sind Nebenprodukte von spielen
• sich herausfordern, anstrengen, Ziele stecken
Beispiel „Mathematik“
Als Daniel Greenberg in der noch jungen SVS das erste Mal von von einer Gruppe Neun-bis Zwölfjährigen angefragt wurde, ihnen das Mathe-Grundwissen „beizubringen“, erkundigte er sich zuerst, ob das der Wunsch von ihren Eltern oder ihr eigener sei. Nach dem sie es als ihren eigenen Wunsch deklarieren konnten, setzten sie sich zusammen und entwarfen einen „Businessplan“. Es wurden von allen gemeinsam folgende Abmachungen getroffen:
- Wöchentlich zweimal 30 Minuten Unterricht: er ist der Lehrer, sie die Schüler*innen
- Der Lehrer wählt das Unterrichtsmaterial und gibt Hausaufgaben
- Wer zweimal zu spät kommt oder die Hausaufgaben nicht macht, fliegt aus der Arbeitsgruppe heraus
Nach 20 Wochen (5 Monaten), waren alle Kinder noch dabei und das Lernziel „Arithmetik für Anfänger“ konnte von allen Beteiligten erfolgreich abgeschlossen werden: Mathe von 6 Schuljahren (1.- 6. Primarschule), einschliesslich Brüche, Prozentzahlen, Dezimalzahlen
(aus dem Buch „Die Sudbury Valley School, eine neue Sicht auf das Lernen, Daniel Greenberg und weitere Autoren)
Der Alltag an der SVS von A-Z
Altersdurchmischung statt Jahrgangsklassen
Anteilnahme statt Anleitung
Demokratie statt Konsens
Empathie statt Forderungen/ Neid
Entspannung statt Gewalt
Erfahrung statt Expertenmeinung
Erfinden statt reproduzieren
Erneuerung statt Stagnation
Fehlerkultur statt Blossstellung
Forschen statt aufgeben
Freiheit statt Zwang
Freude statt Hass
Flow statt Blockade
Geschäftsordnung statt Willkür
Gerechtigkeit für alle statt Vorrechte
Gleichberechtigung statt Hierarchie
Gleichwertigkeit statt Vorurteil
Innenimpuls statt Aussenimpuls
„innerer Lehrplan“ statt äusserer Lehrplan
Innere Harmonie statt äusserer Erfolg
Justizschutz statt Machtspiele
das Leben leben statt vertrödeln
Menschen sind Infoquellen statt Konkurrenten
Mitarbeiter*nnen statt Lehrer*innen
Motivation statt Depression
Musse statt Überreizung
Offenheit statt Misstrauen
Partizipation statt Anitautorität
Pflichten statt nicht-Ernstnehmen
Rechte statt Repression
Regeln statt Ressentiments
Sachlich statt lamentierend
Selbstvertrauen statt Autoritätsgläubigkeit
Spass statt Leistungsdruck
Spiel statt Lehrplan
Unterricht im „Innern“ statt auf Papier
Verantwortung statt Bevormundung
Vernunft statt Gruppendruck
Vertrauen statt Angst
Vorbereitete Umgebung statt Einmischung
Zeitautonomie statt Stress
Zivilcourage statt Autoritätsgläubigkeit